Ein gelblich-grüner Brei quillt zwischen seinen Zähnen hervor, während sich aus den Untiefen seines Magens ein gurgelndes Geräusch vernehmen lässt. Der hölzerner Keil in seiner Nasenscheidewand zuckt hin und her und seine lautstarken, stinkende Furze machen ihn auch nicht gerade sympathischer. In seinem Blick liegt etwas Feindseliges und er trippelt nervös auf der Stelle. Langsam nähere ich mich ihm. Er furzt und schmatzt weiter vor sich hin und ignoriert mich zunächst gänzlich. Als ich bis auf wenige Schritte an ihn herangetreten bin und gerade zu einem ersten Gruß anheben will, springt er abrupt auf und rennt in einem Affentempo davon. Vermutlich wirke ich auf ihn genauso abschreckend, wie er auf mich.
Das ist also mein Reisegefährte für die nächsten zwei Tage, na wunderbar.

Innerhalb der nächsten halbe Stunde konnte Michael Jackson – so der etwas unpassende Name meines Kamels – wieder eingefangen und zurückgebracht werden. Misstrauisch beäuge ich ihn aus einigem Abstand und frage mich, ob die Entscheidung, eine zweitägige Kamelsafari zu machen, wirklich eine gute war.

Naran, der Kameltreiber sattelt und behängt das Tier mit Decken, Kochtöpfen, Wasserflaschen und Lebensmitteln. Dann nickt er mir zu, ich solle aufsteigen. Ich empfinde das Vertrauensverhältnis zwischen mir und Michael zwar nach wie vor als gestört, versuche aber trotzdem seinen Rücken zu erklimmen. Michael springt auf, wirft mich erst nach vorne, dann nach hinten, ich kralle mich kreischend am Sattel fest, und er spurtet los. Sein erneuter Fluchtversuch findet sein abruptes Ende nach 5m Seil. Ich will augenblicklich runter. Mein Kameltreiber sieht das alles weniger tragisch und trabt einfach los, ohne mir weiter Beachtung zu schenken.

Nach wenigen Minuten haben wir bereits das Dorf verlassen und vor uns liegt die kahle, steinige Thar-Wüste. Wir folgen einem für mich nicht erkennbaren Pfad Richtung Westen, Michael Jackson zuckelt noch etwas widerwillig hinter dem Leittier her und ich versuche eine einigermaßen bequeme Sitzhaltung zu finden, was nicht wirklich gelingt. Die Sonne brennt vom Himmel und die Hitze flimmert klassisch am Horizont.
Warum wollte ich eigentlich genau eine Kamelsafari machen? Ich kann noch nicht mal auf einem Pferd reiten. Und jetzt zwei Tage mit einem alten Kameltreiber, der nur fünf Worte Englisch spricht durch die Ödnis.

Nach einigen Stunden erreichen wir ein verlassenes Dorf, in dem einst die Familie eines Maharajas gewohnt hat. Leider ist weder von der königlichen Pracht noch von dem Dorf irgendetwas übrig. Ich stehe ratlos zwischen ein paar zweckfrei herumliegenden Steinen und murmele vor mich hin. Maharaja, so ein Schwachsinn, als wenn der sich jemals freiwillig in diese Wüste begeben hätte. Im Umkreis von 100 km gibt es hier nichts, absolut gar nichts! Selbst die nervigen Fliegen, die an Michael Jacksons Hals hingen, haben sich inzwischen verzogen.

Schlecht gelaunt und Michael Jacksons Verdauungsprobleme ständig in der Nase, geht es weiter. Ich ruckele und schubbere auf dem Sattel hin und her, reite mir Blasen an den Hintern und bin heilfroh, als wir am Abend unser Nachtlager in der Sanddüne erreichen.
Sanddüne! Na das ist ja eigentlich das, was ich mir unter Wüste vorgestellt hatte. In freudiger Erwartung begebe mich zu Fuß auf Entdeckungstour. Leider hat die Düne keine wirklich beeindruckenden Ausmaße und ich verschwende einige Zeit darauf, sie wenigstens auf einem Foto spektakulär aussehen zu lassen. Mit romantischem Sonnenuntergang ist heute Abend leider auch nichts, die Sonne plumpst einfach hinter den nächsten Hügel und verschwindet.

Naran macht Feuer, kocht Chai und bereitet ein Curry aus Zwiebeln, Chili, mehr Zwiebeln und noch mehr Chili zu. Ich backe Chapati und Naran versucht mir ein paar Worte Indisch beizubringen. Währenddessen beobachte ich die daumengrossen, schwarz-glänzenden Käfer, die mit ihren Hinterbeinen getrockneten Kameldung ohne erkennbaren Grund durch die Wüste transportieren. Vielleicht bauen sie sich damit eine Höhle oder lutschen ihn aus, was weiß ich. Vielleicht sind es auch Geschenke für die Weibchen, die zuhause auf die Kinder aufpassen oder einfach ein Hobby. Wie bei uns in Friedrichshain joggen. Einfach grundlos in der Gegend herumlaufen und Scheiße vor sich herkicken.

Als es dunkel wird, bereite ich mir aus ein paar Decken ein Nachtlager und lege mir den Beutel Zwiebeln als Kissen unter den Kopf. Die Kamele rülpsen noch ein bisschen vor sich hin, die letzte Glut verglimmt und ich falle in einen unruhigen Schlaf. Im Traum versuchen riesige Käfer mich durch den Sand zu schieben. Armeen schwarzen Ungetiers bis zum Horizont, die ganze Wüste ein Meer krabbelnder Insekten, die sich mit ohrenbetäubenden Zischlauten verständigen. Exkremente verpesten die Luft, ein widerlicher Gestank. Ich wache schweißgebadet auf und blicke direkt in Michael Jacksons feist grinsendes Gebiss. Von Ekel geschüttelt rudere ich mit den Armen und schreie ihn an, er soll abhauen.

Als ich wenig später wieder auf seinem Rücken sitze, spüre ich jeden einzelnen Muskel meines Körpers. Die erste halbe Stunde ist die Hölle! Bei jedem Schritt durchzuckt mich ein Schmerz. Mein Hintern fühlt sich an, als wäre er aus rohem Fleisch.

Das Highlight dieses Tages soll ein See sein, der nach Narans Aussagen tatsächlich Wasser führt. Irgendwie hatte ich das von einem See ja auch erwartet, aber gut. Letztlich finde ich die Bezeichnung „See“ dann doch leicht übertrieben, aber Naran nimmt in der brühwarmen Pfütze trotzdem sein wahrscheinlich erstes Bad seit Wochen. Die Kamele nutzen die Gelegenheit, um in den See hinein zu pinkeln und ihn anschließend halb aus zu trinken. Ich verzichte auf ein Bad.

Als wir weiterreiten beginnt Naran mir mit Inbrunst indische Liebeslieder vorzusingen und ich kontere mit plattdeutschem Liedgut. So traben wir durch die Einsamkeit, mein Gesicht nimmt langsam die Farbe einer flambierten Kirsche an und das klappernde Geräusch der Kamelhufe schlägt den Takt. Soweit das Auge blickt, nichts als Sand und Geröll, hier und da mal ein Gestrüpp und vereinzelt einige Kakteen.
Michael Jackson und ich haben uns zwar noch nicht direkt angefreundet, aber immerhin folgt er heute meist meinen dilettantischen Lenkversuchen, sodass ich mich mit der Zeit entspanne. Instinktiv scheint Michael das zu spüren und denkt sich sofort eine Abwechslung für mich aus: Ohne Vorwarnung rennt er plötzlich los und steuert direkt auf den nächsten Kaktus zu. Ich klammere mich kreischend am Zügel fest und ziehe im letzten Moment meine Beine hoch, um nicht perforiert zu werden. Michael trabt danach einfach weiter, als sei nichts geschehen.

Wir steuern auf ein kleines Dorf zu, denn Naran möchte sich ein paar Flaschen Wüstenschnaps abfüllen. Michael hat sofort die nächste Gemeinheit parat: er lässt mich nicht absteigen. Er weigert sich schlicht und ergreifend, in die Knie zu gehen. Ich zerre an den Zügeln, versuche es mit zischenden Lauten und harschen Befehlen, nichts hilft. Unschlüssig schaue ich auf den Boden – ca. 1,80m, schätze ich. Ich kann mich nicht so recht zum Abspringen entscheiden. Naran kommt herüber und reißt einmal kräftig an dem Holzstab in Michael Jacksons Nase, was zur Folge hat, dass dieser zwar abrupt auf die Knie fällt, sein Hinterteil aber in luftige Höhen streckt. Ich hänge in extremer Schräglage seitlich am Kamel herunter, und schaffe es nur mühsam, festen Boden unter die Füße zu bekommen. Ein paar Kinder schauen neugierig um die Häuserecken und Frauen kichern hinter ihren Schleiern.

Als wir am Abend endlich zurück im Dorf sind, stellt sich heraus, dass der einzige Bus, der mich zurück nach Jaisalmer hätte bringen können, am Nachmittag zusammengebrochen ist. Ein Telefon, um eine Rikshaw zu bestellen, gibt es hier nicht. Narans Angebot, mich auf dem Kamel nach Jaisalmer zu bringen, lehne ich vehement ab. Keine fünf Schritte werde ich noch auf dem Rücken irgendeines Tieres zurücklegen. Da verbringe ich lieber eine weitere Nacht in der Wüste.

Die Familie des Kameltreibers lädt mich zum Essen ein und am Abend sitze ich mit den Dorfbewohnern unter dem einzigen Baum des Platzes. Es wird geplaudert, gegessen und von dem Gesundheitswässerchen getrunken. Nachdem ich jedem erzählt habe, wo ich herkomme, wie ich heiße, dass Indien ein schönes Land, Naran ein guter Kameltreiber und Michael Jackson ein liebenswertes Tier ist, setzt sich der Dorfälteste neben mich. Er rückt vertraulich nah an mich heran: Ob ich wüsste, warum Kamele die wahren Symbole der Liebe seien? Nein?
Wer ein Kamel lieben kann, kann alles lieben!

(c) Tatjana Bielke

Die Thar-Wüste liegt in Westen Indiens, an der Grenze zu Pakistan:  Zur Karte