„Good morning, good friends“, begrüßt mich eine monotone, knarrende Stimme und das kommt mir doch einigermaßen übertrieben vor. Schließlich ist es gerade erst viertel nach vier und das scheint mir eher die tiefe Nacht als der gute Morgen zu sein.
Nachdem ich mich aus meinem über mir zusammengebrochenen Moskitonetz befreit habe, registriere ich Taubheitsgefühle in den Gliedmaßen, punktuellen Schmerz an Hüfte und Schulter, mein Ohr fühlt sich an, als sei eine Dampfwalze darüber gefahren und es gibt leichte Verbrennungen an den Fingerkuppen, die von dem vorabendlichen Versuch, die Kerze zu löschen, herrühren.
Das war also die erste von zwölf Nächten auf einem Betonbett mit hölzernen Kopf-„Kissen“ in einer kargen Zelle, in der sich sonst nur noch eine einsame Wäscheleine befindet, die mich sofort auf komische Gedanken bringt.
Nein, ich sitze nicht in einem zentralafrikanischen Knast, sondern in einem buddhistischen Kloster im sonnigen Süden Thailands. Vor mir liegen zwölf luxusfreie Tage, die ich mit der Suche nach mit Selbst und nach Erleuchtung verbringen werde.
Diese ist zunächst einmal an acht goldene Regeln gekoppelt, die mir auf dem steinigen Weg ins Nirwana ein Leitfaden sein sollen:
- Gebot: Du sollst nicht töten: na gut, das habe ich bisher ja auch nicht getan, sollte also nicht so schwer sein.
- Gebot: Du sollst nicht stehlen. Bei den Bettelmönchen ist ja auch nicht wirklich was zu holen.
- Gebot: Du sollst keine Drogen konsumieren.
- Gebot: Du sollst keine Nahrung zu dir nehmen zwischen Mittagessen und nächstem Frühstück. Also Diät inklusive.
- Gebot: Du sollst dich keinen Vergnügungen wie Tanz, Gesang und Kosmetik (?) hingeben. O.k., lass ich mein Schminkköfferchen halt im Rucksack.
- Gebot: Du sollst keinen Luxus genießen. Was das bedeutet habe ich letzte Nacht ja schon am eigenen Leibe erfahren.
- Gebot: Du sollst keinen Sex haben. Mit anderen Worten: Finger weg von allem was Spaß macht.
- Gebot: Du sollst nicht sprechen: —–
Bereits am ersten Tag stellt sich, neben dem sofort einsetzenden Hungergefühl, das erste Gebot als das schwierigste heraus: nein, du sollst auch keine Moskitos erschlagen, keine Fliegen und sonstiges Kleingetier zur Strecke bringen, das sich deinen meditierenden Körper heraufbewegt, nein, du sollst auch keine Ameisen von den Höhen deines Knies in die Abgründe der Meditationshalle schnipsen und die Spinnen, die in deiner Zellenecke hausen, bringst du einfach ruhig und gelassen vor die Tür und wünscht ihnen noch einen schönen Tag. Das Gebot der Stunde lautet „loslassen“, lass die Käfer in deine Nase krabbeln, die Mücken deine Füße zerstechen, die Geckos in dein T-Shirt kriechen. Sitze und meditiere, sei gelassen und entspannt, übe dich in Geduld, sei verständnisvoll und gütig.
Bemüht, wenigstens die restlichen sieben Gebote mit einer gewissen Leichtigkeit zu nehmen, versuche ich nun also täglich 17 Stunden zu meditieren, mich zu konzentrieren und meine vom Sitzen schmerzenden Gelenke zu ignorieren.
Ich sitze mit gefalteten Beinen, gestrecktem Rücken und auf den Knien ruhenden Händen auf dem Boden und beobachte meinen Atem.
Du sollst nicht denken, nicht fühlen, nicht träumen, nur einatmen – ausatmen – einatmen – ausatmen – einatmen….
Mein tägliches Highlight sind die frühmorgendlichen Yoga-Stunden. Obwohl das Englisch-Vokabular unserer bezaubernden Lehrerin nur aus den drei Worten „bletting in, bletting out“ (meint: „breathing in, breathing out“) besteht, hat sie uns beigebracht, jeden Morgen mit akrobatischen Verrenkungen die Sonne zu begrüßen.
Dies ist leider auch die einzig erlaubte körperliche Betätigung. Schnelle Schritte und spontane Bewegungen sind generell verpönt, die durchschnittliche Schrittgröße sollte 15 cm nicht überschreiten und in den heißen Quellen bewegt man sich gerade so schnell, dass man nicht untergeht.
Lass es fließen, schalte den Kopf aus, halte keinen Gedanken fest und atme: ein – aus – ein – aus….
Eine weitere willkommene Unterbrechung ist „Chanting“. Einmal täglich ist es uns erlaubt, unsere Stimmbänder zwecks meditativen Gesanges zu betätigen und so singe ich bereits nach drei Tagen unaussprechliche Worte wie „handa mayan tisaranagamanapaham bhanhamse“ ohne mir die Zunge zu verknoten und mit einer gewissen Leidenschaft. Danach lausche ich dann verzückt den Vorträgen der buddhistischen Mönche und Nonnen über ihre Vorlieben für Exkremente, was passiert, wenn man einen Frosch verschluckt, wie man selbst als Frau ins Nirwana gelangt und versenke mich anschließend wieder in Meditation.
Alles läuft prima, ich fange an zu glauben, dass ich in meinem Leben noch nie etwas anderes gewollt habe. Veganes Essen finde ich klasse; ich sehe ein, dass Sexphantasien mit knackigen Novizen nun wirklich nicht angebracht sind und bin stolz, mein Schweigegelübde einzuhalten. Bis zum achten Tage.
Schon die Nacht zuvor war furchtbar. Ich hatte es mir gerade so richtig schön gemütlich gemacht auf meinem Betonbett, das Kerzchen ausgeblasen, als ich aus der Nachbarzelle seltsame Geräusche vernehme. Unterdrücktes Schluchzen sickert durch die Wand, unnatürliches Würgen, das in erstickten Schreien gipfelt. Mit weitaufgerissenen Augen liege ich stocksteif in der Finsternis. Sämtliche Thriller von mordenden Äbten und grausamen Nonnenvergewaltigern rasen an meinem inneren Auge vorbei. Trotz nächtlicher 28° C beginne ich zu zittern.
Nebenan wird ein Mädchen erwürgt und ich bin die Nächste.
Schritte auf dem Kreuzgang.
Jemand nähert sich, geht vorbei.
Ich bin unfähig mich zu rühren.
Das Würgen geht mir durch Mark und Bein.
Plötzlich Stille.
Ich sterbe tausend Tode und die neben mir ist jetzt bestimmt wirklich tot.
Erdrosselt, erwürgt, grausam ermordet liegt sie mit ausgehauchtem Leben keine 5m von mir entfernt, während der Täter im Schutz der Dunkelheit entkommt. Oder sich das nächste Opfer sucht.
Einatmen – Ausatmen – Einatmen – ….
Ich liege noch mindestens eine Stunde wach und starre gebannt in die schwarze Nacht, bevor ich in einen unruhigen Schlaf falle. Ein durchdringender Gongschlag befördert mich dann wenig später zurück in die Realität. Müde schleppe ich mich im Dunkeln zum Brunnen, spritze mir eine Handvoll Wasser ins Gesicht und stolpere zur Meditationshalle. Der Platz neben mir bleibt leer und meine Gedanken beginnen wieder zu rasen. Wenig später nehme ich aus den Augenwinkeln eine Gestalt wahr, die sich mit gepackten Koffern Richtung Ausgang bewegt…. „Ich will auch weg“, schießt es mir durch den Kopf.
Ich will nicht länger mit Rückenschmerzen und verknoteten Beinen auf dem Boden hocken, ich will auch nicht mehr gedankenfrei und leise durch die Gegend schleichen, ich will nicht mehr auf den Boden glotzen, nicht mehr schweigen, ich will Moskitos totschlagen, im Meer herumtoben, lauthals singen und ich will Schokolade!
Stattdessen sitze ich hier, starre vor mich hin und versuche mich auf meinen Atem zu konzentrieren.
Sitze und starre. Sitze und schließe die Augen. Sitze und starre wieder, um nicht einzuschlafen. Sitze im Lotussitz. Im Halblotus. Im Schneidersitz. Sitze und starre vor mich hin.
Zum Frühstück gibt’s wieder ungewürzte Reissuppe. Die einzige Mahlzeit des Tages, denn ab heute soll der Körper ausschließlich meditieren und sich nicht mit überflüssiger Verdauung belasten. Das gibt mir den Rest. Fassungslos drehe ich mich auf dem Absatz um und denke nur noch eins: hau ab von hier! Drei triebgesteuerte Laufschritte Richtung Ausgang -, halt: Keine schnellen Bewegungen! Also schleiche ich, so schnell ich eben schleichen kann verbotenerweise zu meiner Zelle, packe hinter verschlossener Türe in einem Affenzahn meine Sachen, stopfe mit Wolllust einen alten Müsliriegel in mich hinein und suche die erstbeste Nonne, um ihr mitzuteilen, dass ich keine Minute länger bleibe und augenblicklich abreise.
Diese lässt sich von meiner Entschlossenheit allerdings wenig beeindrucken, lächelt und bietet mir erst mal einen Stuhl an.
Ich sage, dass ich keinen Stuhl brauche, da ich JETZT gehe.
Sie lächelt und setzt sich selber.
„Ich gehe jetzt“, wiederhole ich mit gepresster Stimme.
Sie lächelt und deutet mit dem Kopf auf den Stuhl.
Was denn los sei, fragt sie mich, ob ich Konzentrationsschwierigkeiten hätte. Konzentrationsschwierigkeiten?!
Ich will verdammt noch mal hier raus, will rennen, schreien, essen, lachen, mich auf dem Boden wälzen und mich nicht 16 Stunden lang auf meine Nasenflügel konzentrieren!
Sie fängt an zu lachen, ich fange an zu heulen und sie kommentiert: „Das Leiden der Welt!“
Als sie sich nach ihrem Lachanfall beruhigt hat – ich beruhige mich nämlich noch lange nicht – erläutert sie mir seelenruhig, dass ich das nicht so ernst nehmen solle. Das ganze Leben sei schließlich ein einziges Leiden und diese kleine Rastlosigkeit, die mich gerade überkäme, sei nun wirklich nicht dramatisch und vor allem nur vorrübergehend. Aus Krisen gehe man gestärkt hervor, wenn man den Mut habe, sie zu durchschreiten. Eine Schüssel Wasser ins Gesicht sei jetzt vermutlich die beste Möglichkeit, wieder zur Ruhe zu kommen. Ich sehe sie ungläubig an und bin so perplex, dass ich sogar aufhöre zu heulen. Ich solle das Ganze mit Humor nehmen, wir „Westerner“ seien immer so furchtbar erst. Sprachs und entschwand mit einem Lächeln.
Verblüfft bleibe ich noch einige Minuten sitzen. Dann gehe ich zum Brunnen, fange zu meiner eigenen Überraschung plötzlich an „handa mayan tisaranagamanapaham bhanhamse“ zu singen – und bleibe.
Vielleicht schaffe ich es in diesem Leben nicht mehr bis zur Erleuchtung, aber immerhin habe ich gelernt, dass jeder schlechte Moment nur ein schlechter Moment ist, der vorübergeht und den man notfalls mit einem Eimer Wasser wegspülen kann.
(c) Tatjana Bielke
Infos über Suan Mokkh
Wer mehr über das Kloster, die „Retreats“ oder die Anapanasati-Meditation erfahren möchte, findet hier einige Informationen.
Suan Mokkh liegt im Westen Thailands, in der Nähe der Stadt Surat Thani: zur Karte